Veranstaltung: | Sitzung zu Eckpunktepapier Obdachlosigkeit |
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Tagesordnungspunkt: | 2. Beschlussfassung Eckpunktepapier Obdachlosigkeit |
Antragsteller*in: | Marc Kersten & Jenny Brunner |
Status: | Eingereicht |
Antragshistorie: | Version 3 |
A1: Einleitung
Text
Wohnraum für alle
Eckpunkte für einen landesweiten Aktionsplan
zur Überwindung von Wohnungslosigkeit
Wir wollen in einer Welt leben ohne Obdachlosigkeit und in NRW fangen wir damit
an! Mit einem landesweiten Aktionsplan, der die Rahmenbedingungen, die
notwendige Finanzierung und konkrete Handlungsempfehlungen formuliert und die
Schnittstellen zwischen und zu den Kommunen, zu den Landschaftsverbänden, zu
Bundesregierung und EU klar benennt. Denn nur ein aufeinander abgestimmtes
Handeln kann zum Erfolg führen. In diesem Papier setzen wir dabei den Fokus auf
Obdachlose, weil diese besonders prekär leben und kaum eine politische Lobby
haben(1), was die Politik aber nicht davon befreit, alle Formen von
Wohnungslosigkeit zu überwinden. Dabei stehen wir auch vor dem Problem, dass die
Datenlage zum Thema unbefriedigend ist, der Wohnstatus bei
sozialwissenschaftlichen Studien oft unberücksichtigt bleibt und viele
Betroffene nicht erfasst werden, weil sie die bestehenden Hilfsstrukturen nicht
nutzen2.
Wir GRÜNE sehen Gesundheitsversorgung sowie bezahlbares und barrierefreies
Wohnen als universelle Menschenrechte3 an und legen all unserem politischen
Handeln die Wahrung der Menschenwürde zugrunde. Deshalb können wir nicht anders,
als das bestehende Hilfesystem grundsätzlich zu hinterfragen und müssen an
vielen Stellen neue Wege gehen. Wir wollen ein System, das allen Betroffenen ein
dauerhaftes würdevolles Wohnen garantiert. Ein System, das Hilfe nicht von der
Herkunft, der Drogenfreiheit und dem polizeilichen Führungszeugnis abhängig
macht. Ein System, dass die Menschen abholt, wie sie sind und wo sie sind, statt
bürokratische Hürden aufzubauen. Ein System, dass die individuellen Bedürfnisse
berücksichtigt, statt Betroffene in scheinbar perfekt ausgedachte Schablonen zu
pressen. Ein System das im Dialog mit den Betroffenen (weiter)entwickelt wird,
statt über ihre Köpfe hinweg und ihr Expertenwissen in eigener Sache nutzt.
Um Obdachlosigkeit zu überwinden brauchen wir an vielen Stellen veränderte
Rechtsgrundlagen, neue und deutlich mehr Fördermittel, das dafür
realistischerweise nötige Fachpersonal, eine bessere Vernetzung der Ebenen und
landesweite Mindeststandards. Dabei setzen wir auf Kooperation statt Zwang.
Wer Obdachlosigkeit überwinden will, darf keine neue Obdachlosigkeit zulassen,
egal ob aufgrund von Armut oder fehlender Anschlussunterbringung nach
Psychiatrie-, Gefängnis- und Krankenhausaufenthalt. Zudem brauchen wir
schnellere Hilfsangebote, die alle erreichen und frühzeitigere und weitgehendere
Interventionsmöglichkeiten für die Kommunen.
Wenn wir Wohnen wirklich als Menschenrecht sehen, müssen wir schneller und
kreativer beim Organisieren des dafür nötigen bezahlbaren Wohnraums werden. Wir
müssen anerkennen, dass manche Obdachlose auch niederschwelligere Wohnformen
bevorzugen und benötigen. Und wir setzen mit einer flächendeckenden Umsetzung
von Housing First auf ein weltweit erprobtes Konzept, das Wohnraum als Schlüssel
zur Bewältigung anderer Probleme sieht.
Wir brauchen ein wirklich menschenwürdiges Unterstützungs- und Hilfesystem, das
vielfältiger ist, besondere Bedarfe abdeckt und Angebote macht, die bei den
Betroffenen auf Akzeptanz stoßen. Ein Hilfesystem, das Obdachlose stärker an die
Hand nimmt, ohne sie zu bevormunden. Und das für mehr Sicherheit sorgt,
physische und sprachliche Barrieren abbaut und dabei den Selbsthilfegedanken
stärkt.
Obdachlosigkeit ist vor allem auch eine tiefe Wunde in unserem
Gesundheitssystem, das von Obdachlosigkeit Betroffene durch rechtliche, psycho-
soziale und organisatorische Barrierenausgrenzt und diskriminiert, das keine
nachhaltige Behandlung zulässt und chronisch und schwer Suchtkranke im wahrsten
Sinne des Wortes auf der Straße sterben lässt. Hierfür müssen wir passgenaue
Angebote schaffen, in den Köpfen der Menschen ansetzen und den Wechsel von einer
bestrafenden zu einer behandelnden Drogenpolitik fortsetzen.
Fußnoten:
1 Wir setzen einen Fokus auf Wohnungslose ohne Unterbringung gemäß der Gruppen 1
und 5 der europäischen ETHOS-Light-Typologie (auf der Straße und in
Behelfsbehausungen Lebende). Diese leiden unter einem deutlich höheren Level an
Gewalterfahrungen und gesundheitlichen Beeinträchtigungen (siehe BMAS).
2 Der 2022 veröffentlichte erste offizielle Wohnungslosenbericht der
Bundesregierung ist methodisch ausbaufähig. Da er während der Corona-Pandemie
erstellt wurde und nur Menschen im Hilfebezug erfasst, weist der Bericht
systematische Lücken auf.
3 Siehe WHO-Verfassung (1946), Grundgesetz Artikel 1, Absatz 1 und Artikel 2,
Absatz 2, UN-Sozialpakt (1966), Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung (2015),
UN-Behindertenrechtskonvention (2008)
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