Veranstaltung: | Sitzung zu Eckpunktepapier Obdachlosigkeit |
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Tagesordnungspunkt: | 2. Beschlussfassung Eckpunktepapier Obdachlosigkeit |
Antragsteller*in: | Jenny Brunner & Marc Kersten |
Status: | Eingereicht |
Antragshistorie: | Version 2 |
A3: Prävention
Text
Prävention
Wer Obdachlosigkeit überwinden will, darf keine neue Obdachlosigkeit erzeugen
oder dulden. Dafür müssen wir einen stärkeren Blick auf die Strukturen sowie die
vielfältigen Ursachen für die Entstehung von Obdachlosigkeit werfen, nicht
zuletzt auf die Armut in unserem Land. Dass davon auch Kinder und Jugendliche
immer häufiger betroffen sind, ist unerträglich.
Ob eskalierender Streit in der Familie, eine plötzlich unbenutzbare Wohnung oder
psychische Probleme - an Gründen für Obdachlosigkeit mangelt es nicht. Dafür
aber oft am Verständnis der Gesellschaft, die aufgrund geringen
Informationsstandes Vorurteile entwickelt und zu einseitigen Schuldzuweisungen
neigt. Dass viele ihre Post nicht öffnen oder sich - wie insbesondere viele
ältere Menschen - so sehr schämen, dass sie viel zu spät Hilfe anfordern, geht
dabei in der öffentlichen Diskussion unter. Deshalb gilt es, den Zeitpunkt für
eine mögliche Intervention so weit wie möglich nach vorne zu verlagern.
Insofern ist Obdachlosigkeit auch ein Symptom unseres insgesamt versagenden
Sozial- und Gesundheitssystems, das Menschen in Notsituationen nicht schnell
genug, nicht individuell genug, nicht umfassend genug hilft und dabei stärker an
die Hand nehmen müsste, statt bürokratische Hürden aufzubauen. Vor diesem
Hintergrund darf auch der oftmals wichtige und von uns Grünen geforderte
Datenschutz nicht im Wege stehen, wenn wir das legitime staatliche Ziel der
Vermeidung von Obdachlosigkeit konkret umsetzen.
Bei der Prävention von Obdachlosigkeit ist der Blick zudem auf das Phänomen
versteckter Obdachlosigkeit zu lenken. Die im Volksmund als „Couchsurfer“
bezeichneten, oft sehr jungen und überproportional weiblichen Menschen ohne
eigene Wohnung, leben oft prekär, sind der Gefahr von Ausnutzungsverhältnissen
ausgeliefert und können deshalb schnell ungewollt auf der Straße landen.
Für all das haben wir einen Plan und fordern:
- eine starke Berücksichtigung des Themas Wohnungslosigkeit bei zukünftigen
Armutskonferenzen des Landes1
- einen landesweiten Aktionsplan zur Armutsbekämpfung
- die Übernahme von Mietschulden auf Darlehensbasis durch alle Kommunen und ein
Sonderprogramm der NRW-Bank zu dessen Refinanzierung auch für finanzschwache
Städte und Gemeinden
- auch die Unterstützung bei den Kosten für Rechtsbeistand bei Kündigungsschutz-
und Räumungsklagen wie bereits u.a. in Solingen praktiziert, ggf. in Kooperation
mit dem Mieterbund NRW
- eine automatische Information der Kommune bei Einreichung jedweder
Räumungsklage auch für Nicht-Anspruchsberechtigte von Sozialleistungen nach SGB
II und XII
- eine bundesrechtliche Informationspflicht für Vermieter vor (!) einer
Kündigung bzw. Räumungsklage, unter bestmöglicher Beachtung von
Datenschutzerwägungen
- die persönliche Ansprache von Menschen, denen Wohnraumverlust droht, durch
Aufsuchen vor Ort2
- eine erweiterte Rechtsgrundlage, um Zwangsräumungen zu verhindern, statt auf
das Wohlwollen von Vermietenden angewiesen zu sein
- landesweite 24-Stunden-Notfallnummer bei drohendem Wohnraumverlust
- stärkere Nutzung der Möglichkeit der Wiedereinweisung in die gekündigte
Wohnung3 durch die Kommunen
- verbindliche Wohnungsfachstellen für alle Kreise und kreisfreien Städte4 in
NRW mit Unterstützung des Landes und ggf. wie in Köln in Kooperation mit dem
Jobcenter
- striktere Regeln für Eigenbedarfskündigungen, insbesondere in Kommunen mit
angespanntem Wohnungsmarkt
- schnelle und ausreichende Hilfe bei plötzlicher Unbenutzbarkeit der Wohnung,
z.B. durch Brand oder Wasserschaden
- eine Verbesserung der Hilfs- und Beratungsangebote bei Missbrauch, Gewalt und
anderen Problemen im häuslichen Bereich, inklusive einer Erweiterung und
besseren Verzahnung von Frauenhäusern, Jugendhilfeeinrichtungen sowie
spezialisierten Präventionsangeboten5
- ein standardisiertes Entlassmanagement aus dem Strafvollzug, der Psychiatrie
und Krankenhäusern, das Kommunen eine rechtzeitige Handhabe gibt,
Obdachlosigkeit zu vermeiden
- mehr Sensibilität und stärkere Vorsorge bei Depressionen und anderen
psychischen Erkrankungen
- konsequente Anwendung der Inobhutnahme nach SGB VIII bei Flucht oder Rauswurf
aus dem Elternhaus, unter Vermeidung altersmäßig gemischter Sammelunterkünfte
- eine liberalere Auslegung des Wohnsitzzwangs im Elternhaus für unter 25-
jährige gemäß §22, Absatz 5 im SGB II5
- die weitgehende Ersetzung von Ersatzfreiheitsstrafen durch ein System der
Abgeltung durch gemeinnützige Arbeit, damit arme Menschen ihre Wohnung behalten
können
- eine Entkriminalisierung von Bagatelldelikten wie Schwarzfahren oder
Cannabiskonsum, um Freiheitsstrafen und Wohnraumverlust zu verhindern
Fußnoten:
1 hierbei ist der Blick auf alle drei Kategorien Wohnungsloser zu richten (ohne
Unterbringung, verdeckt, mit Unterbringung); Übersicht der letzten
Armutskonferenz NRW
2 siehe Busch-Geertsema, Evers, Ruhstrat (2014), u.a. Tabellen 29 und 30;
Praxis-Leitfaden der Diakonie Bayern
3 siehe rechtliche Grundlagen und Urteile
4 siehe Struktur der ResoDienste der Stadt Köln
5 siehe Jutta Henke (2023); beispielhaft auch das Projekt Off Road Kids
Änderungsanträge
- Ä1 (Sabine Grützmacher (KV Oberberg), Eingereicht)
Kommentare
Michael Aßmann:
Das ist ja auch ein Grund, wo die Armutsgefahr und Obdachlosigkeit besteht.
Übrigens sind Menschen mit niedriger Erwerbsminderungsrente auch betroffen.
Marc Kersten: