Veranstaltung: | Sitzung zu Eckpunktepapier Obdachlosigkeit |
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Tagesordnungspunkt: | 2. Beschlussfassung Eckpunktepapier Obdachlosigkeit |
Antragsteller*in: | Marc Kersten & Jenny Brunner |
Status: | Eingereicht |
Antragshistorie: | Version 2 |
A2: Strukturelle Fragen
Text
Strukturelle Fragen
Ein Problem nachhaltig zu lösen, erfordert belastbare Zahlen und Fakten: Deshalb
gilt es, das Phänomen der strukturellen Untererfassung von Obdach- und
Wohnungslosen methodisch und rechtssystematisch anzugehen.
Die Fachleute sind sich zudem einig: Ohne eine praktikable Regelung für
Geflüchtete und vor allem auch osteuropäische Arbeitsmigrant*innen, werden wir
Obdachlosigkeit nicht überwinden können. Denn letztere machen einen großen Teil
aller Obdachlosen aus und werden systembedingt von den meisten Angeboten nicht
erreicht. Das macht auch deutlich, dass eine Behandlung nach Gefahrenabwehrrecht
keine ausreichende und keine menschenwürdige Rechtsgrundlage ist. Insofern
klingt der Ruf nach humanitären und unbürokratischen Lösungen zwar gut und ist
verständlich, lässt aber die aus Sicht der Kommunen mangelnde Finanzierung sowie
die rechtliche Grauzone, in der sich Verwaltungsangestellte und Sozialarbeitende
oft bewegen, außer Acht.
Dass EU, Bundes- und Landesregierung einen höheren Anteil der Kosten übernehmen
müssen, steht außer Frage. Ein erster Schritt hierzu war der Stärkungspakt für
NRW. Doch selbst wenn wir es schaffen, die Kommunen auskömmlich zu finanzieren,
z.B. durch Anzapfen von Fördertöpfen, so steht uns immer noch der
Fachkräftemangel im Weg, der auch in der Sozialarbeit herrscht. Hier bietet sich
geradezu an, osteuropäische Fachkräfte anzuwerben, die hier auf die passende
Zielgruppe stoßen und ohne Sprachbarrieren arbeiten könnten.
Wer Obdachlosen helfen will, sollte dabei nicht auf Zwang setzen und über ihre
Köpfe hinweg nach Lösungen suchen, sondern mit ihnen auf Augenhöhe reden. Doch
hierfür müssen wir sie empowern, damit der bei anderen gesellschaftlichen
Gruppen übliche Selbsthilfegedanke stärker zum Tragen kommt.
Um diese strukturellen Fragen anzugehen, planen und fordern wir:
- systematische Änderungen und Ergänzungen beim Wohnungslosenbericht der
Bundesregierung
- den Bundesgesetzgeber auf, die aus GroKo-Zeiten stammende Blockade der auch
sozialrechtlichen Freizügigkeit für Menschen aus anderen EU-Staaten zu
überdenken1
- eine Ausweitung von Förderprogrammen zur wirtschaftlichen Entwicklung in
Rumänien, Bulgarien und Polen, um den Auswanderungsdruck zu senken2
- einen Ausgleichsfonds aus EU-Mitteln, der Länder mit hoher Netto-Immigration
stützt
- einen alternativen Finanzierungsweg für Kommunen, die auf freiwilliger Basis
humanitäre Hilfen und dauerhafte Unterbringungen bieten, in Kooperation von
Bund, Land und EU
- stärkere Integrationsbemühungen und leichterer Zugang zu Sprachkursen mit
Unterstützung der Jobcenter und unter Nutzung von EhAP-Plus-Fördermitteln3 der
EU
- eine Beratungsstelle im MAGS, um Kommunen bei der Beantragung von
Fördergeldern zur Seite zu stehen
- eine Stärkung und Ausweitung der sozialen Arbeit in der Obdachlosenhilfe durch
mehr Personaleinsatz
- Sozialarbeitende aus Osteuropa gezielt anzuwerben
- den Ausbau der Fremdsprachenkompetenz im Sozialarbeitsstudium
- Einführung eines auf Obdachlosen-Streetwork spezialisierten Studiengangs an
mindestens zwei NRW-Fachhochschulen und eine stärkere Berücksichtigung in allen
Sozialarbeitsstudiengängen
- ein Zeugnisverweigerungsrecht für Sozialarbeitende, um eine vertrauensvolle
Zusammenarbeit zu gewährleisten
- ein neues Wohnungslosenhilfegesetz mit dem wir das Gefahrenabwehrrecht
ergänzen, für eine menschenwürdige Behandlung und mehr Rechtssicherheit für
Verwaltungsangestellte sorgen wollen
- landesweite Mindeststandards4 für Einrichtungen des Obdachlosenhilfe
- Änderungen u.a. im § 67 SGB XII5, mit dem Ziel, innovative Projekte in die
Regelfinanzierung zu überführen
- eine Online-Plattform6 zur stärkeren Vernetzung der Kommunen mit
Orientierungshilfen anhand von Best Practices-Beispielen, wie dem Wichernhaus in
Dortmund
- eine Gleichzeitigkeit von Verbesserungen in allen Kommunen anzustreben, um
"Stadthopping" der Szene zu verhindern
- eine Aufnahme von Wohnungs- und Obdachlosen als benachteiligte Gruppe im
künftigen Landes-Antidiskriminierungsgesetz7
- ein weitestgehendes Verbot von obdachlosenfeindlicher (defensiver)
Architektur, durch Anpassung der Landesbauordnung oder Änderung des Straßen- und
Wegerechts
- Aufklärung zu Obdachlosigkeit an Schulen und mit Stadtführungen
- eine breit angelegte Imagekampagne unter Einbeziehung Betroffener, die
gängigen Klischeevorstellungen entgegenwirkt
- bessere Information über eigene Rechte und zustehende Leistungen
Fußnoten:
1 Chronologie der sozialrechtlichen Entscheidungen; eine politische Bewertung;
Arbeitshilfe unter aktueller Rechtslage
2 ggf. im Rahmen des Europäischer Fonds für regionale Entwicklung (EFRE)
3 siehe Europäischer Sozialfonds für Deutschland
4 in Weiterentwicklung der Empfehlungen zur Ausgestaltung der
ordnungsrechtlichen Unterbringung von obdachlosen Menschen
5 siehe SGB XII; Landesausführungsgesetz NRW; Richtlinien von LVR und LWL
6 in Weiterentwicklung vorhandener Hilfen/Dokumente
7 siehe Gutachten der Grünen LTF für ein Landes-Antidiskriminierungesetz in NRW
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